Die Cyberattacke beeinträchtigte am Donnerstag wohl nicht nur den Handel mit US-Anleihen. Die nach Bilanzsumme größte Bank der Welt musste noch dazu Handelsdaten auf einem USB-Stick per Kurier durch Manhattan schicken.
Die Industrial & Commercial Bank of China wurde zum Opfer eines Cyberangriffs, der am Donnerstag an der Wall Street für einiges Aufsehen sorgte. Die Bank – die größte der Welt nach Bilanzsumme – konnte riesige Mengen Handelsgeschäfte nicht abwickeln und musste Handelsdaten auf einem USB-Stick per Kurier durch Manhattan schicken. Wie große Kreise der Zwischenfall über die ICBC und ihre Kunden hinaus gezogen hat, darüber besteht noch einige Unklarheit.
Die staatliche Bank habe Market Maker, Banken und Broker darüber informiert, dass ihr Handel mit US-Treasuries von dem Problem betroffen sei, das bereits am Mittwochabend begonnen habe, berichten mit der Angelegenheit vertraute Personen. Betroffen sei die Wall-Street-Tochter ICBC.
Offiziell bestätigte die ICBC einen Ransomware-Angriff auf ihre New Yorker Tochter ICBC Financial Services. Der Hauptsitz in Peking und andere Niederlassungen im In- und Ausland waren laut ICBC nicht betroffen. Das US-Finanzministerium teilte mit, man sei über den Vorfall informiert, stehe in Kontakt mit Marktteilnehmern und beobachte die Situation.
Vorfall dürfte auch US-Schuldenauktion beeinflusst haben
Am Donnerstag gärten Spekulationen, dass die Probleme der ICBC mitverantwortlich für das sehr schlechte Ergebnis bei einer Auktion von 30-jährigen Treasuries am Donnerstag gewesen seien. Andere Marktteilnehmer sagten, die Probleme hätten nur einen kleinen Teil des Marktes betroffen. Der Staat konnte die Papiere nur mit einer überraschend hohen Rendite losschlagen. Außerdem ging die Quote der Offerten sogenannter indirekter Bieter, zu denen ausländische Banken gehören, auf gut 60 von rund 65 Prozent zurück.
Die Angst vor einem Cyberangriff, der eines Tages einen zentralen Teil des Finanzsystems lahmlegen und damit eine Kaskade von Ausfällen auslösen könnte, macht Bankmanager auf der ganzen Welt seit Jahren unruhig. Nach jeder Episode mahnen die Verantwortlichen bei Banken und Aufsicht eindringlich zu mehr Wachsamkeit.
„Dies ist ein echter Schock für große Banken auf der ganzen Welt“, sagte Marcus Murray, der Gründer der schwedischen Cybersicherheitsfirma Truesec. „Der ICBC-Hack wird große Banken rund um den Globus dazu bringen, ihre Abwehrmaßnahmen zu verbessern, und zwar ab heute.“
Insider vermuten russlandnahe Gruppe hinter Angriff
Das Ausmaß der Störung war nicht sofort klar. Marktteilnehmer berichteten dem Finanzministerium jedenfalls, dass die Marktliquidität unter dem Vorfall gelitten habe.
Der Angriff geht vermutlich auf das Konto der als Lockbit bekannten Bande, heißt es in informierten Kreisen. Die kriminelle Gruppe hat Verbindungen zu Russland und attackierte in letzter Zeit auch den Flugzeughersteller Boeing, den Finanzsoftware-Programmierer Ion Trading UK und die britische Royal Mail.
Lockbits Spezialität ist die Ransomware genannte Schadsoftware. Diese verschlüsselt Dateien auf den Computern ihrer Opfer und macht diese damit unzugänglich. Für die Entsperrung der Dateien verlangt Lockbit dann ein Lösegeld. Der Angriff auf Ion in diesem Jahr legte den Derivatehandel für verschiedene Werte wie Bonds oder Rohstoffe lahm und zwang Marktteilnehmer, Geschäfte manuell abzuwickeln.
(Bloomberg/APA)
Author: Glenn Howell
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